1. Coming Home
Die Türen des Flugzeuges öffneten sich mit einem zischenden Geräusch. Warme, kalifornische Luft strömte mir entgegen. Die Sonne schien erbarmungslos auf das Rollfeld, auf dem saß Flugzeug gerade gelandet war. Ich packte meinen Rucksack fester und stieg sie stählerne Treppe hinunter, die vor das Flugzeug geschoben worden war. Beinahe ein ganzer Tag Flug lag hinter mir. Es war mir vorgekommen, als wäre ich ans andere Ende der Welt geflogen, um einen Job als Praktikantin bei Epitaph Records anzunehmen. Hier stand ich nun, beladen mit einem viel zu leeren Rucksack als Handgepäck und wartete darauf, dass die Flughafenmitarbeiter das Gepäck entluden.
Die Entscheidung nach Amerika zu gehen hatte ich mehr oder minder spontan getroffen. Nach meinem Studium wollte ich unbedingt raus aus Deutschland. Mehr durch Zufall als mit Absicht stieß ich auf die Stellenausschreibung von Epitaph. Ich hätte niemals damit gerechnet, dass von ihnen tatsächlich ein paar Tage später eine Antwort kam, in der sie mich zu sich nach Los Angeles einluden. Meine Eltern hielten es erst für einen schlechten Scherz, als ich ihnen erzählte, dass ich schon in einer Woche im Flieger sitzen würde. Doch spätestens als sie meine gepackten Taschen sahen, wurde ihnen bewusst, dass sie ihre Tochter für eine sehr lange Zeit nicht mehr sehen würden.
Und hier stand ich nun. Eine laue Brise wehte durch meine offenen Haare und ich kramte in meinem Rucksack nach meiner Sonnenbrille. Als ich sie endlich fand, hielt auch schon ein Shuttlebus vor uns. Als ich in den Bus stieg und dem Fahrer mein Ticket zeigte, erschrak ich zuerst, als dieser mich auf Englisch ansprach. Doch dann fiel mir wieder ein, dass ich soeben in Amerika gelandet war. Ich schüttelte grinsend den Kopf und suchte mir einen Platz nahe den Türen. Als der Bus anfuhr kramte ich erneut in meinem Rucksack und suchte nach der Einladung. Laut Brief würde ein Taxi vor dem Flughafen auf mich warten, das mich zu einem Hotel in der Nähe der Firma bringen würde. Ich war gespannt auf das Hotel, und noch mehr gespannt auf Epitaph Records, doch in erster Linie wollte ich einfach nur noch schlafen.
Der Bus kurvte zwischen den parkenden Flugzeugen hindurch und in der Ferne erkannte ich glitzernd das Hauptgebäude des Flughafens. Die riesigen Glasfronten reflektierten das Sonnenlicht. Als wir vor dem Gebäude hielten, konnte ich unzählige Passagiere im Wartebereich erkennen. Wohin ihre Reise wohl ging?
Ich betrat den Flughafen und sofort fiel mir auf, wie kühl es hier war. Es war mitten im Sommer, die Klimaanlagen mussten auf Hochtouren laufen. Ich suchte nach den Anzeigetafeln und dem Ausgang. An der niedrigen Decke erspähte ich eine Anzeige mit Exit. Wie viele Ausgänge konnte es an einem Flughafen schon geben? Also schritt ich los, geradewegs auf die ebenfalls gläsernen Türen zu. Und tatsächlich, dort parkten einige Taxen, jedes mit dazugehörigem Fahrer, die Schilder mit unterschiedlichen Namen in den Händen hielten.
Mr. Cooper. Nicht mein Name.
Mrs. Hampstead. Auch nicht mein Name.
Mr. Goldsworthy. DEFINITIV nicht mein Name!
Ms. Wolf. Ah, endlich. Das war wohl mein Fahrer. Ich stiefelte zu ihm und begrüßte ihn. Daraufhin öffnete er mir den Kofferraum, worin ich meinen Koffer verstaute. Anschließend ließ ich mich auf der Rückbank des geräumigen Taxis nieder. Lederpolster. Natürlich.
“Hatten Sie einen angenehmen Flug, Ms. Wolf?” fragte er mich mit schwerem amerikanischem Akzent.
“Ja sehr, danke! Ich war überrascht, dass man mich in der Business Class fliegen ließ!” antwortete ich und beobachtete, wie die Palmen am Straßenrand an uns vorbei zogen.
“Natürlich! Wir lassen Sie doch nicht mit der Holzklasse von Germany einfliegen.” er lachte. Sein Lachen war irgendwie ansteckend und ein breites Grinsen breitete sich über mein Gesicht aus.
“Ist es weit bis zum Hotel? Der Flug hat mich dennoch sehr geschlaucht.” fragte ich ihn.
“Nur knapp 15 Minuten, Ms. Wolf.” sagte er und hantierte am Armaturenbrett herum.
“Nennen Sie mich bitte Alex.” forderte Ich ihn auf und konnte ein kichern in der Stimme nicht gänzlich unterdrücken.
“Gerne, Alex. Mein Name ist Dave.”
“Arbeiten Sie schon lange für Epitaph?” fragte ich ihn.
“Solange ich denken kann! Ich könnte mir keinen besseren Job vorstellen. Ich bin nämlich nicht immer deren Chauffeur. Die meiste Zeit bin ich deren Mädchen für alles, vor allem wenn der Toner der Drucker wieder nicht geht.” erzählte er mir und lachte erneut sein schallendes Lachen.
“Ich bin so gespannt wie es dort wohl ist.” murmelte ich und rutschte im Sitz ein wenig unruhig hin und her.
“Oh du wirst es lieben, da bin ich mir sicher. Auch wenn einige von den Bands und Künstlern sehr eigen sein können.”
“Ach wirklich?” hakte ich nach.
“Oh ja! Wir sind hier in Hollywood, vergiss das nicht.” sagte Dave.
Wir fuhren noch einige Minuten so weiter, Smalltalk haltend, während ich die ungewohnte Umgebung in mir aufsaugte. Hier war wirklich alles völlig anders als in Deutschland.
Dave fuhr eine Ausfahrt herunter und reihte sich in dem dichten Verkehr ein. Die Gebäude waren hier schon viel höher. Ich machte mir gar nicht erst die Mühe aufzupassen, welchen Weg Dave nahm. Meine Augen wurden nämlich mittlerweile echt schwer. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie mein Kinn auf meine Brust gesunken war, als Dave anhielt.
“Aufwachen, Prinzessin.” hörte ich ihn sagen.
Ich richtete mich auf, grinste ihn an und sagte:
“Ich bin vielleicht vieles, aber keine Prinzessin.”
Und eher er etwas erwidern konnte, setzte ich hinzu: “Kutschenführer!”
Dave lachte und sagte: “Ohja Du wirst dich hier in LA sehr schnell einleben!”
Ich kletterte aus dem Wagen und holte meinen Koffer aus dem Kofferraum. Dave begleitete mich in die Lobby. Dort angekommen staunte ich Bauklötze. Der Boden glänzte, überall standen Möbel aus dunklem, hochwertig aussehenden Holz herum und die Empfangsdame wirkte wie aus dem Ei gepellt.
“Epitaph Records. Ms. Wolf hier hat ein Zimmer.“sagte Dave zu ihr. Sie tippte kurz mit flinken Fingern auf einem Tablet herum und lächelte mich dann an.
" Zimmer 66, im sechsten Stock.”
Ich musste grinsen. Zimmer 666? Das stank doch nur so nach Klischee! Ich nahm ihr die Schlüsselkarte ab.
" Danke Dave.” sagte ich ihm zugewandt und tippte mir an die Stirn.
“Keine Ursache, Prinz...”
“Daaaave?!” rief ich und er hielt entschuldigend die Hände in die Luft.
“Bin schon still. Ruh dich aus. Morgen um 10 Uhr hole ich dich ab. Dann zeige ich dir Los Angeles und anschließend fahren wir in die Firma. Der Boss möchte dich persönlich kennenlernen.”
“Bis morgen!” rief ich ihm hinterher, doch er war schon Richtung Wagen verschwunden.
Also drehte ich mich um und suchte den Aufzug. Als ich ihn fand, setzte ich mich auf meinen Koffer während ich wartete. Er schien ewig zu brauchen. Ich holte mein Smartphone aus der Hosentasche und tippte eine schnelle Nachricht an meine Mutter”
>>Bin gut gelandet. Wurde abgeholt. Bin nun im Hotel. Will nur noch schlafen. Ich melde mich morgen bei euch. Kuss, Alex. <<
Ein leiser Signalton erklang und die Türen des Aufzuges glitten zur Seite. Ich wollte gerade aufstehen und meinen Koffer nehmen, als ein großer Typ mit Lederjacke und Tattoos mich anrempelte.
“Aus dem Weg!” schnauzte er über seine Schulter.
“Dir auch einen schönen Tag, Arschloch!” rief ich ihm hinterher, bevor ich kopfschüttelnd in den Aufzug stieg. Beinahe lautlos glitt die Kabine nach oben. Als sich die Türen wieder öffneten erstreckte sich links und rechts von mir ein langer Gang. Ich entschied mich erst nach links zu laufen. Und tatsächlich, mein Zimmer war gar nicht allzu weit weg vom Aufzug. Ich steckte die Karte ins Schloss und mit einem leisen Klicken öffnete sich das Schloss. Als ich eintrat lag ein geräumiges Zimmer mit Doppelbett vor mir. Gegenüber vom Bett hing ein großer Flachbildfernseher. Den Koffer stellte ich vor dem Wandschrank ab und streifte meine Schuhe ab. Ich ließ mich rückwärts aufs Bett fallen und während ich meinem besten Freund noch eine Nachricht schreiben wollte, fielen meine Augen nun endgültig zu.