Prolog
Inmitten eines einzigen Chaos ist ein kleines, verängstigtes Mädchen. Sie rennt ziellos durch den ohrenbetäubenden Lärm von Bomben und Schüssen. Sie kann nichts sehen, zu viel Staub wurde von eingestürzten Gebäuden aufgewirbelt und brennt in ihren Augen. Der Rauch der Flammen raubt ihr Luft, um richtig atmen zu können.
Während sie versucht, weiter zu rennen, hört sie verzweifelte Schreie und Wörter wie “Hilfe!” und “Bitte nicht!” und sieht in die Richtung. Sie kann nur Umrisse erkennen, doch sie kann gerade so feststellen, dass Trauernde neben ihren getöteten Angehörigen knien oder sitzen und weinen.
Die Kleine sucht selbst nach ihrer Mutter und ihrem Bruder. Der Anblick, wenn auch nur unscharf, nimmt sie so sehr mit, dass sie fast selbst losweint. Sie läuft weiter und beschleunigt ihr Tempo, bis sie in etwas stößt, ihr Gleichgewicht verliert und auf den mit Glasscheiben bedeckten Boden fällt. Sie blickt hoch und merkt, dass es kein Etwas, sondern ein Jemand ist. Ein großer, breit gebauter und einschüchternder Mann mit einer Gasmaske, einer dunklen Uniform und einem riesigen Gewehr steht bedrohlich vor ihr. Wie gelähmt starrt das Mädchen ihn mit erschrockenen Augen an. Der Mann hebt wortlos sein Gewehr und beginnt, auszuholen. Bevor er das Mädchen mit einem festen Schlag töten kann, wirft sich jemand mit einem Messer bewaffnet um seinen Hals und versucht, ihm die Kehle durchzuschneiden. Ihr Bruder.
“Draven!”, kreischt das Mädchen mit heiserer Stimme.
“Schon gut, bring dich in Sicherh-”, er unterbricht sich selbst mit einem schmerzerfüllten Schrei und sinkt zu Boden. Gleich danach stürmt eine Frau besorgt zu ihr und Draven, die Mutter.
“Mama!” - “Lauf! Los, steh auf und renn weg!”, sie kommt dem Mann nicht einmal nahe, ehe er sein Gewehr auf sie richtet und befiehlt: “Bleiben Sie sofort stehen, sonst erschieße ich Sie!”, ihre Mutter reagiert nicht und rennt weiter auf ihn zu. Dieser zögert nicht weiter und drückt ab.
“MAMA!!”, das Mädchen steht auf und rennt zu den beiden.
“Amaya-”, Draven kann kaum noch sprechen, “Du musst fliehen... Ich... Ich hab dich... Lieb…”, seine Hand, die vorher nach ihrer gegriffen hat, lockert ihren Griff und fällt neben seinen Körper. Weinend guckt sie wild umher, bis sie ihre Mutter auf den Trümmern sieht. Ihr Körper liegt reglos da. Sie krabbelt zu ihr, hat keine Kraft mehr, sich aufzurichten. Mit ihren blutigen kleinen Händen drückt sie auf die tiefe Schusswunde in der Brust ihrer Mutter. Kein Lebenszeichen. Nur noch ihre toten Augen blicken starr gen Himmel, der mit einer Ruß- und Staubschicht bedeckt ist. Amaya bricht zusammen. Sie schüttelt abwechselnd an ihrer Mutter und Draven, die beide nicht reagieren. Sie merkt nicht einmal, dass der Mann, der für ihren Verlust verantwortlich ist, noch immer hinter ihr steht, bis sie hört, wie etwas weggeworfen wird und eine Scheibe zerschlägt. Sie schreckt auf und schießt mit ihrem Kopf nach hinten.
Da ist er. Der Mann. Er schaut sie mit kalten grauen Augen an, seine Haare sind abrasiert und sein Mund wird auf der rechten Seite von einer Narbe leicht nach oben gezogen.
“Merke dir meinen Namen: Rhys Marbas”, er holt einen Dolch hervor und verpasst Amaya eine tiefe klaffende Wunde über ihre linke Gesichtshälfte. Blut fließt in ihr Auge, sie kann wieder nur noch verschwommene Umrisse erkennen. Sie sieht nur noch einen Schatten und spürt einen heftigen Schlag, der sie zu Boden wirft.
Amaya wacht in einem kühlen grauen Zimmer auf. Verwirrt mustert sie die Verbände um ihre Hände und ihren rechten Oberschenkel.
Erst, als sie an den Verband um ihre Gesichtshälfte fasst, erinnert sie sich an den Mann. Rhys Marbas.
Der Mörder ihrer Familie.