KAPITEL 1
NILS BERGER KAPO BRUGG
Von Judith Hervé
MIKE UND REBEKKA Keine neuen Nachrichten
FREITAG 15:50 Ein Kaffee irgendwo in Baden
Die Sonne strahlt durch das Glas und heizt den Raum noch zusätzlich auf. Dummerweise sitzt Rebekka Wert direkt am Fenster und sie fühlt, wie sich der Schweiss in ihren Handflächen und unter ihren Achselhöhlen sammelt. Hektisch wischt sie die Hände an ihren neuen Jeans ab und versucht sich zu beruhigen.
Langsam Ein- und Ausatmen, versuche, dich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Verdammt, mein Gesicht ist sicher schon wieder rot und verschwitzt, was soll er den jetzt von mir denken.
Sie spürt die unangenehme Feuchtigkeit unter ihrer ebenfalls neuen Bluse und überlegt den Platz zu wechseln, doch sie kann keinen freien Tisch entdecken.
Mist, verzweifelt fächelt sie sich selber Luft zu und rutscht unruhig auf dem Stuhl herum. Sie hat das Gefühl den beissenden Geruch ihres Schweisses in der Nase zu haben und schaut sich nach der Toilette um.
Dort in der hinteren Ecke erspäht sie das Schild mit den erhofften zwei Buchstaben und sie rutscht mit dem Stuhl nach hinten, um aufzustehen. Leider hat der Mann hinter ihr den gleichen Gedanken und die Stuhllehnen stossen aneinander, Rebekka kippt durch den plötzlichen stopp, beinahe nach vorne auf die Tischplatte.
„Ohh Gott das tut mir leid. Das war nicht meine Absicht, bitte entschuldigen sie.“
Sie fühlt, wie ihr Gesicht rot anläuft und spürt den verärgerten Blick des älteren Mannes auf sich, während er sich die Finger reibt, die sie mit der Stuhllehne eingeklemmt hat.
Sie dreht sich um und will in Richtung der Toilette fliehen, als sie bemerkt, dass sich der Henkel ihrer Handtasche um das Stuhlbein gewickelt hat.
Rebekka ist den Tränen nah und wünscht sich, nur noch unsichtbar zu werden. Bei ihrem Glück wird Richi in diesem Moment durch die Türe kommen und sie in diesem Zustand zum ersten Mal sehen, typisch.
Endlich hat sie es in die Damentoilette geschafft, sie stellt sich vor ein Lavabo um in den Spiegel zu blicken.
Was sie darin sieht, gefällt ihr überhaupt nicht und die Tränen drängen wieder an die Oberfläche.
So kann sie doch nicht zu einem Date erscheinen, ihr Gesicht ist voller hektischer, roter Flecken, die Haare hängen ihr verschwitzt und wirr in die Augen und stehen in allen Richtungen von ihrem Kopf ab.
Was ist mit ihrer Frisur passiert, die ihre Freundin Luisa mit so viel Sorgfalt hergerichtet hatte?
Und das ungewohnte Make-up, völlig zerstört, sie sieht aus wie ein Waschbär auf Drogen.
„Du dämliche Ziege, kannst du nichts richtig machen. Er wird Hals über Kopf fliehen, wenn er dich so sieht. Auslachen wird er dich, du dumme Kuh“, beschimpft sie ihr Spiegelbild.
In diesem Moment hört sie die Spülung in einer der Kabinen. Gott sie war gar nicht alleine, wie peinlich.
Sie öffnet die nächstgelegene Kabine und quetscht sich hinein. Gerade als sie die Tür schliesst, hört sie, wie die Kabine neben ihr geöffnet wird. Mit hochrotem Kopf steht sie vor der Toilette und lauscht den Geräuschen.
Das Rascheln der Kleidung, das Rauschen des Wasserhahns, ein Räuspern, das Ratschen der Einmalhandtücher und dann die Türe, die geschlossen wird.
Langsam entspannt sich Rebekka wieder und lehnt die Stirn an das kühle Holz.
Plötzlich durchfährt sie ein Gedanke, vielleicht sitzt er ja bereits an einem Tisch und wartet auf sie, sie muss sich beeilen.
Hektisch öffnet sie ihre Handtasche und wühlt darin nach geeigneten Utensilien, um ihr Äusseres wieder einigermassen ansehnlich herzustellen.
Dabei murmelt sie ständig vor sich hin, wie dumm und unfähig sie doch ist.
Endlich wird sie fündig und zieht eine Bürste und eine Packung Feuchttücher aus ihrer Handtasche.
Sie lauscht kurz, kommt dann aber zum Schluss, dass sie sich alleine im Damen-WC befindet. Rebekka schliesst die Türe der Kabine auf und eilt erneut zum Lavabo. Mit den Feuchttüchern wischt sie über das Gesicht, bis ihr die Augen tränen und das verschmierte Make-up, wenigstens grösstenteils, verschwunden ist. Sie öffnet die Spangen, die ihr aschbraunes Haar zusammenhalten sollten und bürstet es mit kräftigen Strichen Glatt.
Skeptisch begutachtet sie das Ergebnis im Spiegel, na wenigstens sehe ich nicht mehr aus wie eine durch geknallte Serienkillerin, nur noch wie eine langweilige Bibliothekarin, wie immer. Sie seufzt resigniert und fragt sich, wie sie nur auf die Idee kommen konnte, etwas anderes aus sich machen zu wollen, als sie ist.
Du wirst immer eine pummelige, tollpatschige Papeterie-Verkäuferin bleiben, ganz egal was du dagegen unternimmst.
Sie holt das Deo aus der Tasche und sprüht sich eine reichliche Portion unter die Achseln, hoffend dass der Schweissgeruch genügend verdeckt wird. Mehr kann sie nicht tun und sie hofft sehr, dass Richi nicht allzu sehr enttäuscht sein wird, obwohl er sie ja von den Fotos, die sie ihm geschickt hat, bereits kennt.
Erstaunlicherweise scheint es ihm nichts auszumachen, dass sie mit zwanzig Kilo Übergewicht zu kämpfen hat, dass sich noch schlimmer auswirkt, da sie nur gerade 1,60 misst. Mit ihren kurzen Beinen wirkt sie wie ein Hobbit, so haben sie die anderen Kinder in der Schule immer gerufen, Rebbi der Hobbit.
Dass sie von Natur aus, ein eher impulsives und emotionales Wesen besitzt, machte die Sache auch nicht gerade besser. Wie pflegte ihre Mutter immer zu sagen?
Du musst dich halt wehren, wenn dir jemand blöd kommt. Du kannst nicht wegen jeder Kleinigkeit heulend zum Lehrer rennen.
Doch wer bekam den Ärger, wenn sie sich denn mal gewehrt hat? Bestimmt nicht diejenigen die sie dazu getrieben haben.
Ihre Eltern versuchten zwar sie zu unterstützen, wo immer es ging. Doch leider konnte nicht einmal die resolute Art ihrer Mutter, die mit vier Brüdern aufgewachsen war, gegen den brutalen Dschungel des Schulhofs etwas unternehmen.
Obwohl es in der Unterstufe noch geholfen hatte, wenn ihre Mutter die Kinder abpasste um sie einzuschüchtern, verloren die Drohungen immer mehr an Wirkung, je älter sie wurden.
Sogar der Besuch eines Selbstverteidigungskurses scheiterte, da sie in der Masse der über Dreissig Kindern in ihrer Altersklasse kläglich unterging und der Trainer nicht einmal mehr ihren Namen wusste, als er ihr nach einem Jahr und drei gescheiterten Gurtprüfungen nahe legte, sich doch einen anderen Sport zu suchen. Da sie zu langsam, zu träge und dummerweise auch zu tollpatschig für Karate war und dadurch nie mit den anderen Kindern mithalten könne.
Selbstverständlich wählte der Trainer nicht diese Worte, doch der Sinn war der Gleiche, ganz egal wie sehr sie sich auch anstrengen würde, sie käme nie auf einen akzeptablen Level, auf jeden Fall nicht in diesem Verein.
Also gab sie es auf und zog sich in ihr Schneckenhaus zurück, immer darauf bedacht, ja nicht zu sehr aufzufallen und dadurch das Ziel ihrer Mitschüler zu werden. Ihre Wut vergrub sie tief in ihrem Innersten, wo sie niemand sehen konnte und das ist bis jetzt so geblieben.
Das Einzige das ihr eine Flucht bot waren ihre Bücher, in denen mutige Mädchen gegen Vampire, Wehrwölfe und andere Monster kämpften, ohne sich dabei in die Hose zu machen, vor lauter Angst.
All dies geht ihr durch den Kopf, als sie versucht ihre Kleidung zu glätten und die verdächtigen Flecken unter ihren Achseln mit ihrer Jacke zu kaschieren.
Nach einem Blick auf ihre billige Armbanduhr, schiesst ihr der Schreck wieder in die Glieder, Fünf nach Vier, sie hat sich mit Richi um Vier verabredet. Sicher sitzt er schon im Restaurant und wundert sich, wo sie denn bleibt.
Du schaffst das, versuch nur nicht allzu viel Mist zu bauen, dann wird das vielleicht sogar was.
Rebekka rafft ihre Habseligkeiten zusammen und verlässt das WC.
Ihr Blick schweift suchend durch den Gastraum, doch sie kann niemanden sehen der Richi ähnelt.
An dem Platz am Fenster sitzt ein Pärchen, dessen verliebte Blicke und ineinander verschlungenen Hände Rebekka einen fiesen Stich von Eifersucht versetzt. Wie konnten die es wagen, sich an ihren Platz zu setzen und auch noch zu flirten?
Doch das war dumm, denn schliesslich hat sie den Tisch freigegeben, als sie die Flucht ins WC antrat.
Die Eingangstüre öffnet sich und lenkt ihre Aufmerksamkeit auf den Herrn, der ins Restaurant tritt, den Bruchteil einer Sekunde dachte sie schon er könnte es sein, doch dann hebt er den Blick und sie sieht den Bart unter seinem Gesicht. Das ist er nicht.
Sie seufzt und setzt sich an den Tresen, da alle Tische besetzt sind, bestellt einen Kaffee bei der Bedienung und starrt in den Spiegel, der sich vor ihr hinter dem Tresen befindet, um die Leute zu beobachten, die das Restaurant betreten.
Doch auch weitere Zehn Minuten später, ist von Richi keine Spur zu sehen, nervös blickt sie auf ihr Handy, keine neue Nachrichten.
Soll sie ihm eine schreiben? Wirkt das nicht kleinlich? Vielleicht steckt er nur im Stau oder sucht noch einen Parkplatz. Sie beschliesst zu warten.
Weitere Fünfzehn Minuten später immer noch keine Nachricht, er ist jetzt schon eine halbe Stunde zu spät, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Hat sie sich im Tag geirrt? Oder in der Zeit?
Sie überprüft zum hundertsten Mal ihre Nachrichten und liest den Text, den Richi ihr vor Drei Tagen geschickt hat.
-Lust auf ein Treffen, bitte, bitte, bitte, ich möchte dich so gerne persönlich kennen lernen. Ich bin
mir ganz sicher, dass es zwischen uns passt, bitte versuch es mit mir. Darunter mehrere Smileys mit
Herzchen.
Dies war bestimmt die zehnte Bitte um ein Treffen, die er ihr schickte, alle hat sie abgelehnt, obwohl sie sich schon seit vier Monaten schreiben, praktisch täglich.
Doch Rebekka ist in dieser Hinsicht ein gebranntes Kind und geht lieber auf Nummer sicher.
Seine Hartnäckigkeit ist es schliesslich, die sie zu ihrem Entschluss bringt, endlich zuzusagen.
Nachdem ihre Freundin Luisa sie, ohne ihr Wissen, an Neujahr bei dieser Dating App angemeldet und sie dutzende von Anfragen erhalten hat, leider ausschliesslich für schnellen Sex, wollte sie den Account schon löschen, als sie eine neue Nachricht erhielt.
-Hey ich bin Richi und suche eigentlich kein Date. Ich weiss das ist eine Datingseite, doch leider gibt
es keine reine „Ich suche nur Freunde zum Quatschen App“. Vielleicht hast du ja Interesse mit mir
über Gott, die Welt und alles was dazwischen liegt zu tratschen. Ich liebe Bücher, Geschichte,
Fantasyserien und vor allem lange Abende mit Netflix.
Angeekelt von den vielen Nachfragen nach ihrer BH Grösse oder einem Nacktbild und ungewollten Penisportrais, was glauben die Männer eigentlich soll schön sein, an einem solchen Foto, entschliesst sie sich einen letzten Versuch zu wagen, da ihr seine Art gefällt und vor allem kein Bild von ihm, oder seinen Genitalien, zu sehen ist, stattdessen ziert das Logo einer ihrer Lieblingsserien sein Profilbild.
-Hey ich bin Rebbi und suche keinen schnellen Sex, falls du nach diesem auf der Suche bist, nein danke. Falls du über alles andere quatschen willst, schicke mir doch eine Antwort.
Mit gemischten Gefühlen sendet sie die Nachricht, doch nicht ohne ein kleines bisschen Hoffnung, doch noch auf jemanden Normales gestossen zu sein.
Nach einer Stunde hat sich dieser leise Funke in Rauch aufgelöst, keine neue Nachricht.
Von der Welt enttäuscht, insbesondere der männlichen Seite dieses Planeten geht sie ins Bett, mit dem festen Vorsatz ihren Account morgen zu löschen.
Doch als sie am nächsten Morgen ihr Handy einschaltet, blinkt ihr eine neue Nachricht entgegen.
Du hast Post von Richi bekommen.
Unentschlossen starrt sie den blinkenden Satz an, es ist sowieso wieder nur ein Perversling, sicher ist es ein Foto von seinem angeblich besten Stück.
Bevor sie die Nachricht löschen kann, erscheint eine neue, du hast 2 ungelesene Nachrichten in deinem Postfach.
Mit einem Kaffee vor sich wagt sie es dann doch und klickt auf den lesen Button.
-Guten Morgen Rebbi, ich hoffe du hast gut geschlafen. Bitte entschuldige das ich dir gestern nicht
mehr geantwortet habe, doch da ich Nachtschicht arbeite und mitten in den Zwischen-Prüfungen für mein Studium stecke, war es mir nicht möglich. Ich hoffe sehr du schreibst mir trotzdem zurück, Richi.
Sie lächelt als sie an diese Nachricht zurückdenkt doch die Zweite gab den Ausschlag, dass sie sich überhaupt auf ihn eingelassen hat.
-Ich habe nur eine Frage, Werwolf oder Vampir? LG. Richi
-Werwolf natürlich, was für eine Frage. LG. Rebbi
-Perfekt, jetzt weiss ich das es zwischen uns stimmt. LG. Richi
Und so diskutierten sie den ganzen Morgen über die Vorzüge eines Werwolfs den Vampiren gegenüber.
Rebekka denkt an diese vergangenen Vier Monate, als sie vergebens versucht, Richi auf seinem Handy zu erreichen, doch jedes Mal hört sie nur die Ansage der Swisscom, dass dieser Teilnehmer vorübergehend nicht zu erreichen ist.
Um viertel vor Fünf gibt sie sich schliesslich einen Ruck und gesteht sich selber ein, dass sie mit ziemlicher Sicherheit versetzt wurde.
Dieser Mistkerl, sie hätte es wissen müssen, was sollte ein Mann auch von ihr wollen.
Schwankend zwischen Wut auf sich selber und Enttäuschung über Richi, der sie an der Nase herumgeführt hat, bezahlt sie ihre drei Kaffee und macht sich auf den Weg zum Bahnhof.
Ein Teil von ihr horcht auf ein Rufen hinter sich und sieht sein entschuldigendes Lächeln vor sich, wenn sie sich dann umdreht, doch nichts dergleichen geschieht.
Mit den Tränen kämpfend, sitzt sie auf der Bank und wartet auf den Zug, der sie nach Hause bringen soll, immer noch auf eine Nachricht hoffend, die sie erlöst, doch keine neue Nachricht trifft ein.
Während der fünfzehn Minütigen Zugfahrt nach Klingnau überlegt sie sich die diversen Szenarien, weshalb wohl aus dem ersten Treffen nichts geworden ist.
Er hat kalte Füsse bekommen, verständlich, sie musste sich auch mehrere Male zusammenreissen. Aber deshalb muss Man doch nicht gleich das Handy ausschalten.
Ein Todesfall in der Familie, trotzdem hätte er Zeit für eine kurze Nachricht gehabt, aber entschuldbar.
Er hat einen Unfall und liegt jetzt bewusstlos im Spital oder noch schlimmer, hilflos und alleine in seiner Wohnung.
Oh Gott, der Arme, was soll ich tun? Ich weiss nicht einmal seine genaue Adresse oder seinen Nachnamen.
Warum eigentlich?
Na warum wohl, weil er eine Freundin hat und dich verarscht, du dumme Kuh.
Dieser Mistkerl, wie konnte er nur, sie haben doch so viel gemeinsam.
Sicher? Immerhin kann jeder im Netz alles schreiben, wer sagt denn, dass Richi nicht alles erfunden hat.
Aber er kennt sich aus, mit ihren Lieblingsserien wie Supernatural, The Witcher oder Shadowhunters.
Sie hatten die ganze Zeit darüber geschrieben, wann wieder eine neue Folge rauskommt, die Handlungen und ihre Lieblingscharakteren.
Das kann doch nicht alles gelogen sein, da er über fundierte Kenntnisse verfügt.
Und wieso sollte er diesen Aufwand betreiben?
Sie hatte kein Geld, das sollte ihm klar sein, immerhin hat sie ihm geschrieben, dass sie als Papeterie-Verkäuferin arbeitet und in einer alten, renovationsbedürftigen Zwei-Zimmer Wohnung lebt.
Doch wegen Sex?
Na sicher doch, weil es ja absolut keine hübschen und willigen Mädchen auf diesen Datingseiten gibt.
Die ganze Zugfahrt brütet Rebekka über ihren Gedanken und verpasst fast, dass der Zug in Klingnau gehalten hat. Sie schafft es gerade noch aus der Tür, bevor diese sich schliesst.
Als sie sich umdreht, winkt ihr ein aufgeregtes Mädchen durch das Fenster und deutet auf den Platz, auf dem sie vorhin gesessen hat, dort liegt immer noch ihre Jacke auf dem Sitz.
Doch es ist zu spät, der Zug ist bereits angefahren und das Mädchen zuckt entschuldigend mit den Schultern.
Das ist der Tropfen, der ihr Fass zum Überlaufen bringt und sie kann ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Um die Kontrolle nicht ganz zu verlieren, tut sie, was sie immer in solchen Situationen tut.
Sie beginnt zu schimpfen, leise und vor sich hinmurmelnd, schliesslich sollen die anderen Passanten sie nicht für eine durch geknallte Psychopatin halten. Zum Glück sind nur zwei andere Leute an der kleinen Station, die eigentlich nur eine Haltestelle, mit Billett-Automat und Vordach ist.
Du bist so blöd, wie konntest du auf so einen reinfallen. Dieses schüchterne Lächeln, seine unsichere Art, sicher alles nur gespielt. Wahrscheinlich ist sogar die Brille nicht echt, du dämliches Huhn, bist schon wieder auf ein Arsch reingefallen, du lernst es nie, kein Mann will so eine langweilige, graue Maus. Was soll er denn auch mit dir Anfangen.
Den ganzen Weg über schimpft sie mit sich selber, doch nur so schafft sie es, ihre Fassung nicht zu verlieren, bis sie die kleine Gasse hochgelaufen, zwischen den Häusern durchgeschlängelt, die Haustüre geöffnet, die drei Treppen hochgelaufen ist, ihre Wohnungstüre geöffnet und wieder geschlossen hat.
Sie rutscht an der Wand entlang zu Boden und beginnt hemmungslos zu weinen, zwischen den Schluchzern und den Schniefern, stösst sie wüste Verwünschungen und Flüche auf die Männer, insbesondere auf Richi aus.
Wieso war sie nur immer wieder so dumm, sich Hoffnungen zu machen, einen Seelenverwanden zu finden?
Eigentlich wäre sie schon zufrieden mal einen Mann zu treffen, der sie nicht ausnutzt oder verarscht.
Mit ihren 24 Jahren konnte sie nicht gerade auf eine lange Reihe von Ex-Freunden zurückblicken.
Gerade mal mit Zwei Männern hat sie bis jetzt eine Beziehung gehabt, die erste ging nur Fünf Monate, ihre erste grosse Liebe war acht Jahre älter als sie und er behandelte sie wie ein kleines Kind, ein dummes noch dazu.
Bis sie den Grund herausfand, weshalb er sie ständig anpumpte und dann für Wochen verschwand, eine Frau und vier Kinder die in Tschechien auf ihn warteten.
Der Zweite entpuppte sich als psychisch instabiler Junkie, der sie nach Drei Monaten verliess, nicht ohne vorher ihr Bankkonto und ihr Portemonnaie geplündert zu haben.
Als sie nach der Arbeit an einem Samstag nach Hause kam, war ihre Wohnung praktisch leergeräumt und ihr Freund spurlos verschwunden.
Danach hatte sie endgültig die Nase voll von Männern und gab die Hoffnung auf, ihr Glück zu finden.
Bis sie die Nachricht von Richi las, doch sie war vorsichtig geworden und lies sich zuerst nur über WhatsApp mit ihm ein.
Nach Viermonatigen, intensiven Nachrichten Austausch dachte sie wirklich sie würde ihn kennen und könnte ihm vertrauen.
Trotzdem sitzt sie jetzt in ihrem Gang, auf dem unebenen Holzboden und heult sich die Seele aus dem Leib. Der Schnodder läuft aus ihrer Nase und ihre Brust tut weh vor lauter Schluchzern.
Rebekka weiss nicht, wie lange sie so auf dem Boden sitzt, bis sie von einer Pfote an gestupst wird und ihr Kater in ihr Ohr miaut.
„Ach Momo du armer du hast sicher Hunger, tut mir leid.“ Sie streicht dem ungehaltenen Tier über das schwarz-weisse, seidenweiche Fell und drückt das nasse Gesicht hinein.
Wenigstens bist du kein Arsch, wie der Rest der Männer auf dieser Scheisswelt. Es scheint als hätte ich nur Glück mit Tieren, die zeigen einem wenigstens gleich, ob sie einen mögen oder nicht.
„Na komm, dann werden wir mal sehen was es heute so gibt. Wie wäre es mit Lachs? Das hattest du schon lange nicht mehr.“
Sie hebt das Tier von ihrem Schoss, stellt ihn auf den Boden und versucht, ohne grössere Verrenkungen aufzustehen, was ihr schliesslich gelingt.
Sie schlurft durch den schmalen Gang, den Kater dicht auf den Fersen und in dem Moment als sie rechts die Küche betreten will, hört sie die Melodie des Constantin-Themas, der Klingelton ihres Handys.
Rebekka wirbelt herum, stolpert dabei über Momo, stösst gegen die Schuhkommode und stürzt sich auf ihre Handtasche, die immer noch vor der Wohnungstüre liegt.
Hektisch schüttelt sie den Inhalt auf den Boden, um das vibrierende Ding aus dem Chaos zu fischen, doch kaum hat sie es in den Fingern, erstirbt die Melodie.
Scheisse, scheisse, scheisse, das gibt’s doch nicht, das war sicher Richi, um sich zu entschuldigen, ihr eine Erklärung zu geben, weshalb das Treffen nicht stattfinden konnte.
Leider ist es Luisas Name, der auf dem Display erscheint und Sie fühlt sich nicht in der Verfassung, ihrer Freundin von dem Desaster zu berichten. Deshalb schickt sie ihr nur ein WhatsApp, mit dem Inhalt, sie würde sich Morgen bei ihr melden.
Wenn sie Luisa jetzt alles erzählen müsste, würde sie nur wieder mit der Heulerei beginnen und sie hat bereits Kopfschmerzen und Muskelkater in der Brust davon.
Frustriert und wieder den Tränen nah, stopft sie alles in die Tasche zurück, stemmt sich in die Höhe und wirft die Tasche auf die Kommode.
Momo steht in der Küchentür und miaut lautstark, immerhin hat sie ihm doch den Lachs versprochen, der seinen Weg noch nicht in seinen Napf gefunden hat.
Den Rest des Abends verbringt Rebekka damit, in Selbstmitleid und Vorwürfen, auf ihrem Sofa zu versinken, sich mit Maccadamiaglacé und Zwiebel-Chips vollzustopfen, während sie das Fell ihres Katers bürstet.
Die Fünfminütigen Blicke auf das Handy zeigen immer das Gleiche an, keine neuen Nachrichten von Richi.