01 | FEHLER!
Pov. Skylar
Gedanken versunken stochere ich in dem inzwischen kalten Rührei auf meinen Teller. Wieder habe ich kaum mehr als fünf Bisse runterbekommen.
Das unangenehme flaue Gefühl in meinem Magen wird mit jedem Tag etwas stärker. Trotzdem bekomme ich wie schon in den vergangenen Wochen kaum bis gar keinen Bissen mehr runter. Scheiß, Liebeskummer!
"Skylar?" Ertönt die zarte Stimme meiner Mutter und holt mich zurück ins hier und jetzt. Dennoch brauche ich ein Augenblick, um einen klaren Gedanken zu fassen.
Bevor ich den Blick von meinem vollen Teller löse, atme ich tief durch. "Geht es dir nicht gut?" Fragt sie, während sich Sorge in ihren Bernstein Farbenden Iriden spiegelt.
Während die brüchig klingende Stimme in mir verzweifelt schrie: "Nein, nein, mir geht es beschissen, ich habe das Gefühl, nicht mehr richtig atmen zu können. Es fühlt sich an, als würde ich langsam in den kaum noch auszuhaltenden Schmerzen ertrinken!"
Stattdessen setze ich ein Lächeln auf und antworte "mach dir bitte keinen Sorgen es alles in Ordnung-," Wiederhole ich die Lüge wie in den vergangenen Wochen. "ich habe nur keinen besonders großen Appetit", das ist zumindest nicht gelogen. Hungrig bin ich wirklich nicht.
Auch wenn sie mich nicht überzeugt ansah, so nickte sie schließlich und wand sich ihrer dampfenden Kaffeetasse zu. Mir ist es recht,
anderenfalls würde sie die aufkommenden Tränen sehen, die meine Augen füllen.
Ich senke den Blick und schließe für den Moment meine, vor Tränen benetzten Augen. Tief atme ich ein, bis sich meine Lungenflügel komplett gefüllt sind. Eins, zwei, drei, vier, fünf zähle ich langsam, eh ich die Luft ausstoße.
Da sind sie wieder, die verdammten Bilder, die sich fest in mein Gedächtnis gebrannt haben. Es tut so unfassbar weh. Jedes Mal, wenn die Bilder hochkommen, fühlt es sich erneut an, als würde mein Herz in tausend kleine Teile brechen. Gott, bitte mach, dass es endlich aufhört, ich kann nicht mehr!
Unauffällig versuche ich die Tränen wegzublinzeln, jedoch half auch das diesmal nicht mehr. Ich muss hier sofort weg!
Wenn Mum meinen Tränen verschleierten Blick sehen würde, würde sie nicht mehr locker lassen. Und bei Gott, ich bin noch bereit, ihr von meinem Schmerz zu erzählen. Ich kann noch nicht einmal daran denken, ohne zu heulen wie ein Schlosshund.
Es ist einfach noch zu frisch!
Es tut noch zu sehr weh, viel zu sehr!
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sie mit der leeren Tasse aufstand und gemütlich zu dem großen Kaffeeautomaten lief. Als sie mir den Rücken kehrt, um den Kaffeeautomaten zu bedienen, nutze ich den Moment.
"Bin dann jetzt auch weg", begann ich und stand auf. "Dad, hat mich gebeten, die Zäune der Nordheide, die Miniatur Cattle Herde zu kontrollieren", erkläre ich, während zur Tür eile. "Bis später", rief sie mir hinterher, während ich mit schnellen Schritten durch die Küchentür nach draußen auf den Hof lauf.
Draußen laufe ich direkt Richtung Pferdestall, um meinen Mustang Soul zu holen. Allein der Gedanke an diesen Teufel lässt mich sofort schmunzeln und meine Sicht wird allmählich wieder klar.
Soul ist einer der vier Mustangs, die mein Vater vor einigen Jahren angeschleppt hat. Er musste damals spontan für zwei Wochen geschäftlich nach Nevada reisen und so wie es aussieht, wollte er wohl die Messlatte für das außergewöhnlichste Souvenir ziemlich hoch ansetzen.
Gelungen ist es ihm definitiv, auch wenn er seiner Familie gleich vier von Satans direkten Nachkommen mitgebrachte.
Bei den Stellen angekommen, laufe ich gleich in den Pferdestall. Sofort schießt mein Blick zu Jace der dabei war, Soul zu Satteln. Jace arbeitet bereits seit fünf Jahren für meine Familie. Mit einem kurzen Räuspern mach’ ich auf mich aufmerksam und schaue etwas irritiert an. Wieso sattelt er Soul?
Breit Lächeln dreht sich der Braun Haarige zu mir. "Wusste ich es doch", lacht er zufrieden. Anscheinend hat er geahnt, dass ich komme, um Soul zu holen und hat ihn für mich fertiggemacht.
Lächelnd bedanke ich mich dafür bei ihm. Reden ist noch nicht möglich, meine brüchige Stimme würde es bloß zu fragen kommen. Außerdem ist mir gerade sowieso nicht zum Quatschen zumute. Dafür habe ich jetzt nicht den Kopf und wollte einfach nur allein still schweigend vor mich hin leiden.
Ich schnappe mir Soul, stieg auf und kurz darauf ritt ich über den kleinen Bauernhof, der schon seit mehreren Generationen in meiner Familie lag. Kaum runter vom Hof ging es im Galopp weiter und genoss den Wind, der mir abkühlen, entgegen peitscht an diesem heißen Sommertag.
An der nördlichen Weide angekommen, machte ich mich sofort an die Arbeit. Immerhin würde das Kontrollieren der Weidezäune ohnehin schon Stunden in Anspruch nehmen, das muss ich nicht auch noch die Zeit mit Trödeln verlängern.
~
Inzwischen sind Stunden vergangen und ich setzte mich erschöpft für eine kurze Pause in das hohe Gras. Eigentlich hatte ich gehofft, die Arbeit würde mich ablenken, doch leider
ist das genaue Gegenteil eingetroffen.
Es ist nicht nur der Vorfall von vor vier Wochen, der mir ziemlich zu setzt, sondern auch das, was noch in zwei Wochen auf mich zukommt.
In zwei Wochen enden die Sommerferien und ich werde nicht wie sonst zurück ins Internat kehren, sondern hier die örtliche Schule dieser langweiligen Stadt besuchen.
Ich habe noch versucht, dass irgendwie zu verhindern, aber nachdem Zwischenfall vor den Sommerferien wollte mich kein einziges Internat mehr aufnehmen. Deshalb bleibt mir nichts anderes mehr übrig wie mein Schicksal still schweigend zu akzeptieren.
Einige der Internate haben es nicht einmal mehr für nötig gehalten, mir eine Ablehnung zuschicken. Ich habe mal gedacht, wenn ich irgendwann Ghostet werde, dann von einem heißen Kerl, der mir den Kopf verdreht hat, aber definitiv nicht von Elite Internaten.
Na ja, wenn ich es mir recht überlege, ist es mir doch lieber ignoriert zu werden, anstelle noch mehr Ablehnungen zu bekommen. Denn auch wenn die Briefe alle anderes formuliert waren, so hat sich doch ein Satz immer wiederholt. In jedem einzelnen Brief.
Der Satz: „Wir distanzieren uns von jeglicher Form der Gewalt“ fiel in jedem einzelnen Brief. Man stellte mich als eine impulsive, unberechenbaren, verrückte hin und das nur wegen dieses Miststücks und ihrer Mutter!
Dass ich es geschafft hatte, vom einem Elite-Internat zu fliegen, hat nicht nur in meiner Familie, sondern auch hier im Ort schnell die Runde gemacht.
Doch was dem Ganzen die Krone aufgesetzt hat, war, dass der Grund, warum ich an keinem Internat mehr zugelassen werde, nicht lange geheim geblieben ist.
Irgendjemand aus meiner Familie konnte die Klappe nicht halten und so verbreitete sich der Grund, wie ein Lauffeuer im ganzen Ort.
Niemand von ihnen kennt meine Seite der Geschichte, geschweige die Hintergründe, warum ich es getan habe. Trotzdem haben sie alle mich bereits als eine gewalttätige Unruhestifterin abgestempelt.
In den vergangenen vier Wochen ist beinahe jede Person, der ich über den Weg gelaufen bin, der Meinung gewesen, mir unbedingt ihre Meinung zu dem Ganzen mitteilen zu müssen.
Es hagelte lauter Vorwürfe. Ich konnte mir immer wieder erneut anhören, wie sehr ich es doch verbockt habe und dass ich einen großen Fehler gemacht habe.
Letzteres sah ich tatsächlich ähnlich wie sie. Ich habe einen Fehler begangen und diesen Fehler bereue ich inzwischen zutiefst.
Ich bereue es zutiefst, nicht noch viel stärker zugeschlagen zu haben. Ich bereue es zutiefst, dass diese Schlampe nur mit einer gebrochenen Nase und ein paar kleinen Platzwunden davon gekommen ist.
Mum und Dad sind immer noch der festen Überzeugung, dass das alles nur ein großes Missverständnis ist. Sie glauben, ich hätte im Streit mit meiner „besten Freundin“ die Fassung verloren und dass mir versehentlich die Hand ausgerutscht ist.
Doch trifft das nicht einmal ansatzweise zu. So wenig wie es nur ein Streit gewesen ist, so wenig ist mir auch nur im Eifer des Gefechts die Hand ausgerutscht. Im Gegenteil, sogar ich wollte diesem Miststück wehtun und ihr richtig die Schnauze polieren.
Gut. Mit einem Punkt liegen sie zumindest nicht falsch. Die Fassung habe ich wirklich verloren und das in dem Augenblick, als ich dieses Miststück mit meinem Freund oder besser gesagt jetzt Ex-Freund in flagranti erwischt habe.
Selbst wenn ich ihnen erzählen würde, was wirklich vorgefallen ist, würde es nicht den geringsten Unterschied machen. Sie halten selbst jetzt noch an ihrer Theorie fest und das, obwohl sie dieses Miststück gesehen haben.
Sie war durch die vielen schönen bunten Farben sowie der Schwellungen und den Platzwunden im Gesicht kaum wiederzuerkennen.
Egal wie sehr man es versuchte zu drehen und zu wenden, ich hätte mich schon in den unglaublichen Hulk verwandeln müssen, um mit „einer ausgerutschten Hand“ so etwas anrichten zu können!
Meine Eltern wollen von alledem aber nichts wissen und lieber bei ihrer Theorie bleiben. Sie sehen in mir immer noch die perfekte, fehlerfreie, vorzeige Tochter, die ihr Herz am rechten Fleck trägt. Wenn, sie nur wüssten.
Ich bin selbst dem, was fehlerfrei und perfekt am nächsten kommen könnte, weit entfernt. Meilenweit!
In den letzten Jahren bin ich zu einem
sarkastischen, zu Zwangsstörung neigen introvertierten Arschloch mit mangelhaftem Risikobewusstsein und einer viel zu großen Klappe in den ungünstigsten Momenten geworden!
Hört sich alles andere als perfekt oder fehlerfrei an.
Tief atme ich durch und stehe mit einem theatralischen Seufzen auf. Wenn ich fertig werden will, bevor es dunkel wird, muss ich so langsam wieder mit der Arbeit beginnen.
~
Die Stunden sind wie im Flug vergangen und ich bin gerade fertig geworden. Endlich.
Geschafft atme ich schwer aus und wische mir mit dem Handrücken die Schweißperlen von der Stirn. Für diese Arbeit habe ich mir wirklich den ungünstigsten Tag ausgesucht.
Es sind knapp sechsunddreißig Grad und ich stell’ mich in der prallen Sonne auf die Weide, um Zäune zu kontrollieren und zu reparieren. Da habe ich definitiv wieder einmal einen ganz hellen Moment gehabt.
Jetzt kann ich aber endlich wieder zurück und unter die Dusche springen. Die habe ich jedenfalls dringend nötig. Ohne noch lange zu Fackeln laufe ich rüber zu Soul, der im Schatten unter einem Apfelbaum steht und seelenruhig grast.